Was ist Bullshit? Bullshit wurde auch schon vor Internet und Social Media verzapft. Eine gute Definition lieferte in den 80er Jahren der amerikanische Philosoph Harry Frankfurt, der heuer im Alter von 94 verstorben ist, nachzulesen in "Bullshit. Weder Wahrheit noch Lüge": "Bullshit ist Gerede, bei dem es dem Sprecher egal ist, ob es stimmt. Im
Unterschied zum Lügner versuchen Bullshitter nicht, anderen gezielt eine
Unwahrheit einzureden. Wahr oder unwahr, das kümmert sie wenig. Sie
wollen Eindruck schinden." An diese Definition musste ich denken, als ich Obermain-Tagblatt den Bericht "Lichtenfels: Gegenwind für Projekte auf dem Jura" über eine sogenannte Informationsveranstaltung der Bürgerinitiative Gegenwind für Windkraft am Obermain las. Bis zu diesem Zeitpunkt dachte ich noch, dass die Bürgerinitiative Mobilfunkstandort Altenkunstadt die größten Bullshitter am Obermain sind, aber die Bürgerinitiative Gegenwind für Windkraft am Obermain schießt den Vogel ab.
Nach Ansicht des Vorsitzenden der Bürgerinitiative, Heiko Betz, würden die geplanten Windräder enorme Schäden im In- und Ausland verursachen. Als Beispiel nannte er das Isoliergas SF6, das in den Schaltschränken verwendet wird. SF6 ist ein extrem schädliches Klimagas, wenn es in die Atmosphäre gelangt. Allerdings wird das Gas in den Schaltschränken gekapselt, sodass es nicht entweichen kann. Seine Konzentration in der Luft ist daher vernachlässigbar. Das Gas wird natürlich nicht nur in Windrädern verwendet, sondern generell in Mittel- und Hochspannungsschaltanlagen, weil man damit die Größe der Schaltanlagen reduzieren kann. SF6 wurde auch in Schallschutzscheiben verwendet und in Autoreifen gefüllt. Warum also SF6 in Schaltanlagen für Windräder schlimm ist, aber in allen anderen Schaltanlagen und Anwendungen nicht, erklärt Betz nicht. Und natürlich wird daran gearbeitet, SF6-freie Schaltanlagen auf den Markt zu bringen.
Schrecklich ist auch, laut Betz, dass die Rotoren der Windräder nicht recycelt werden können. Die Rotoren bestehen aus glas- bzw. kohlefaserverstärktem Epoxidharz. Es wird an Verfahren gearbeitet, mit denen das Epoxid wiederverwendet werden kann. Epoxidharz wird natürlich nicht nur für Windräder verwendet, sondern auch im Boots- und Flugzeugbau, als Leiterplattenmaterial für Elektronik, als Klebstoff oder auch als Schutzanstrich. Wir lernen: Wenn Epoxid aus Rotorblättern nicht recycelt werden kann, ist das schlimm, in allen anderen Anwendungsfällen gilt: Schwamm drüber!
In den Generatoren werden nicht mehrere Tonnen Neodym verbaut, wie Betz behauptet, sondern etwa maximal 200 kg/MW, bei einem durchschnittlichen Windrad mit 6 MW Nennleistung also etwa 1,2 t, bei großen Anlagen 2 bis 3 t. Es gibt auch Windräder mit deutlich weniger bzw. gar keinem Neodym. Der Abbau von Neodym in China erfolgt ohne Rücksicht auf Umweltschäden. Die beim Abbau anfallenden radioaktiven Elemente Uran und Thorium gelangen in die Umwelt. Natürlich wird auch Neodym nicht nur in Windrädern verwendet, sondern überall dort, wo man starke Magneten benötigt: Elektromotore, Generatoren, Lautsprecher, Magnetresonanztomographen. 2020 wurden weltweit Windräder mit einer Nennleistung von 94 GW installiert. Dafür wurden 3,2 % der weltweit geförderten Seltenen Erden, zu denen Neodym gehört, verwendet. Auch hier stellt sich wieder die Frage, warum Neodym in Windrädern schlecht, in allen anderen Anwendungen aber gut sein soll.
Auch die Angst vor gesundheitlichen Auswirkungen durch Infraschall ist Bullshit. Die Windkraftgegner stützten sich auf eine Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, die den von Windkraftanlagen ausgehenden Infraschalldruck falsch umgerechnet hat. Dr. Stefan Holzheu von der Universität Bayreuth hat diesen Fehler aufgedeckt. Trotzdem reiten die Windkraftgegner weiter auf dieser offensichtlich fehlerhaften Studie herum. Infraschall entsteht auch durch Meeresbrandung, starken Wind oder beim Schließen einer Tür. Wer Angst vor Infraschall hat, sollte keinesfalls mit dem Auto fahren: Dort ist der Infraschalldruck um Größenordnungen höher als bei 300 m Abstand von einem Windrad.
Natürlich sind Windräder auch Vogelschredderanlagen. Schätzungen gehen von bis zu 100.000 durch Windräder getöteten Vögel in Deutschland aus. Hört sich nach viel an, ist aber relativ wenig im Vergleich zu den 18 Millionen Vögeln, die an Glasscheiben zu Tote kommen. Hinzu kommen noch die geschätzt 200 Millionen Vögel, die Katzen zum Opfer fallen. Auch hier gilt wieder: Vögel, die von Windrädern getötet werden, sind schlimm, alle anderen toten Vögel machen nichts aus.
Selbstverständlich darf die Warnung vor Krebs nicht fehlen: Ein Physiotherapeut aus dem Publikum behauptete, dass Menschen, die in der Nähe von Windrädern lebten, mitunter häufiger von Krebs betroffen seien. Wie er zu dieser Auffassung kommt, erklärt uns der Physiotherapeut leider nicht.
Gegner neuer Technologien - wie Windkraft oder Elektroautos - verfolgen gerne die Strategie, schädliche Auswirkungen der neuen Technologie zu betonen, aber zu verschweigen, dass diese schädlichen Auswirkungen bei anderen Technologien genauso oder in noch höherem Maße vorhanden sind. Kobalt in E-Auto-Motoren ist des Teufels, in den Ventilen von Verbrennermotoren ist es aber okay. 100.000 tote Vögel durch Windräder sind inakzeptabel, an 18 Millionen tote Vögel durch Glasscheiben haben wir uns gewöhnt. Beton für Windradfundamente sind ein Umweltfrevel, Beton in Brücken, Hochhäusern oder Mauern ist ganz nett.
Windräder emittieren Geräusche und Infraschall und erzeugen Schattenwurf. Dafür sind Grenzwerte festgelegt, die eingehalten werden müssen. Jede technische Anlage und jedes Produkt, das wir herstellen, hat negative Auswirkungen auf die Umwelt. Es kommt darauf an, die negativen Auswirkungen auf die Umwelt zu minimieren. Wenn wir die Klimaerwärmung einigermaßen begrenzen wollen, müssen wir weg von fossilen Energien hin zu erneuerbaren Energiequellen. Und das sind Sonne, Wind und Wasser. Jeder freut sich, wenn der Strom aus der Steckdose kommt. Aber irgendwie muss er auch erzeugt werden.