1. Januar 2021

Mobilfunkstrahlung erhöht Lebenserwartung?

Wünschen Sie sich eine Tageszeitung, die jeden Leserbrief kommentarlos veröffentlicht, auch wenn damit noch so großer wissenschaftlicher Unsinn verbreitet wird? Dann sind Sie beim Obermain Tagblatt genau richtig. Am Mittwoch verzapfte eine Leserbriefschreiberin auf Seite 8 solchen Unsinn unter der Überschrift "Wir werden uns noch nach Funklöchern sehnen". Es geht dabei natürlich wieder einmal um die angeblichen Gefahren der Mobilfunkstrahlung. Ich habe zuletzt hier erklärt, warum Mobilfunkstrahlung der Gesundheit nicht schadet.

Die Leserin schreibt: "Immer mehr Menschen sind inzwischen dermaßen von der digitalen Mikrowellenstrahlung in ihrem Alltag beeinträchtigt, dass sie am gesellschaftlichen Leben nicht mehr teilnehmen können." Es handelt sich dabei um sogenannte elektrosensible Menschen. Bisher konnte kein wissenschaftlicher Beweis erbracht werden, dass es ein solches Phänomen gibt. Das bedeutet nicht, dass diese Menschen nicht leiden. Sie leiden - ähnlich wie Hypochonder - an eingebildeten Störungen. Aber müssen 98 % der Bevölkerung auf Mobilfunk verzichten, weil 2 % sich vor eingebildeten Gefahren fürchten?

"Wahre Funklöcher, wie sie diese Menschen zum Überleben benötigen, gibt es in Deutschland heute bereits nicht mehr", so die Leserin weiter. Wenn es tatsächlich ums Überleben ginge, wären diese Menschen natürlich schon längst gestorben. Es konnte bisher keinerlei Nachweis erbracht werden, dass irgendjemand an Mobilfunkstrahlung gestorben wäre. Auch gaben nicht 10 % der Befragten an, elektrosensibel zu sein, sondern nur 2 %.

Weiter im Schwurbeltext: "Mikrowellenstrahlen schwächen das Immunsystem, sie führen bei lungenkranken älteren Menschen zu geringerer Sauerstoffsättigung des Blutes und sie können in Gebieten mit hoher Luftverschmutzung den Sauerstoffgehalt in der Luft senken." Wie gesagt, es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis für Erkrankungen, die durch Mobilfunkstrahlung hervorgerufen werden. Die geringere Sauerstoffsättigung bei lungenkranken Menschen ist auf die Lungenkrankheit zurückzuführen, nicht auf Mobilfunkstrahlung. Geradezu grotesk ist die Behauptung, dass die Strahlung den Sauerstoffgehalt in der Luft senkt. Ich denke, daran ist die Luftverschmutzung schuld und nicht die Strahlung, die über unbekannte Wirkungen der verschmutzten Luft den Sauerstoff entzieht.

Als Grund für das Überleben der Menschheit bis heute stellt die Schreiberin in den Raum, dass das vielleicht daran liege, dass es früher keinen Mobilfunk gegeben habe. Falls sie das wirklich ernst meint, muss ich ihr leider entgegenhalten, dass die durchschnittliche Lebenserwartung heute rund 80 Jahre beträgt. Um 1900 lag sie noch bei 48 Jahren. Sollte das daran liegen, dass wir heute Mobilfunkstrahlung haben? Nein - natürlich nicht!

Früher haben Zeitungen Meldungen und auch Leserbriefe auf deren Wahrheitsgehalt hin überprüft. Heute ist das anscheinend nicht mehr der Fall. Unter dem Etikett Meinungsfreiheit meinen manche, alles verbreiten zu dürfen oder zu müssen. Meinung ist aber nicht Wahrheit. Wer etwas meint, hält etwas nur für wahr. Niemand weiß alles. Es gibt aber zuverlässige Quellen, aus denen man sich informieren kann. Das Internet bietet uns heute ungeahnte Möglichkeiten, den Wahrheitsgehalt einer Aussage zu überprüfen. Von einer seriösen Zeitung erwarte ich, dass sie nicht nur Meinungen verbreitet, sondern auch den Wahrheitsgehalt der verbreiteten Meinungen überprüft. Das gilt auch für Leserbriefe. Wenn ich auf Geschwurbel und Verschwörungstheorien stehen, kann ich das ebenfalls im Internet finden. In einer seriösen Tageszeitung verzichte ich gerne auf Humbug.

 

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