Sehr geehrte Damen, Herren und Diverse, vielleicht haben Sie es so am Rande mitbekommen: Die Lufthansa begrüßt ihre Fluggäste künftig nicht mehr mit "Sehr geehrte Damen und Herren". Sie will eine genderneutrale Sprache verwenden. Die Flugbegleiter sind gehalten, die Anrede wegzulassen. Sie sollen allerdings nicht bestraft werden, wenn sie sich nicht daran halten. Für mich ist diese Meldung ein weiterer Auswuchs der um sich greifenden Identitätsideologie.
Wikipedia gibt eine kurze prägnante Definition der Identitätspolitik: "Identitätspolitik (englisch identity politics) bezeichnet eine Zuschreibung für politisches Handeln, bei der Bedürfnisse einer spezifischen Gruppe von Menschen im Mittelpunkt stehen. Angestrebt werden höhere Anerkennung der Gruppe, die Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Position und die Stärkung ihres Einflusses. Um die Mitglieder einer solchen Gruppe zu identifizieren, werden kulturelle, ethnische, soziale oder sexuelle Merkmale verwendet. Menschen, die diese Eigenschaften haben, werden zu der Gruppe gezählt und häufig als homogen betrachtet." Natürlich ist es wichtig und richtig, Benachteiligungen in einer Gesellschaft zu beseitigen. Gefährlich für eine demokratische Gesellschaft wird es dann, wenn dies zu einer Grüppchenbildung und damit Zersplitterung innerhalb der Gesellschaft führt, anstatt die Gemeinsamkeiten zu betonen.
Ziel solcher Gruppeneinteilungen ist es auch, für die Mitglieder einen besonderen Schutzstatus zu erreichen. Es geht also nicht mehr nur um gleiche Rechte, sondern auch um spezielle Rechte für diese Gruppe. Teilweise stilisieren sich diese Gruppen als Opfer oder werden als solche stilisiert. Die Auswüchse dieser Identitätsideologie gehen dann so weit, dass in einem Berliner Theater ein türkischer Gemüsehändler nur von einem Türken gespielt werden darf. Warum muss er aber kein Gemüsehändler sein oder er nicht wenigstens einen Gemüsehändlerhintergrund haben?
In der Realität gehört ein Mensch natürlich nicht nur zu einer Identitätsgruppe. Mit der Homogenität einer solchen Identitätsgruppe ist es dann auch nicht mehr weit her. Das Ganze wird ungeheuer komplex. Zudem gibt es Abstufungen im Opferdasein: Der türkische Gemüsehändler ist ein größeres Opfer als der Türke, der Türke aber generell ein größeres Opfer als der deutsche Gemüsehändler.
Die Opferreihenfolge geht für Geschlechter ungefähr so: Mann (kein Opfer, sondern generell Täter), Frau, Lesbe, Schwuler, bisexuell, transgender, transsexuell, intersexuell, queer - englisch abgekürzt LGBTQI. Wer nicht weiß, was das alles ist, bitte selbst googlen. Bei der Hautfarbe geht es nach dem Weißheitsgrad: Weiße sind Täter, Schwarze Opfer, dazwischen liegen alle anderen. Schwierig wird es, wenn die Merkmale kombiniert werden: Ist ein schwarzer Heterosexueller ein größeres Opfer als ein weißer Schwuler? Darüber gibt es heftige Debatten in der Indentitätsgemeinde. Ein praktischeres Beispiel ist die Kritik am islamischen Kopftuch: Ist das Kopftuch ein Zeichen der Unterdrückung der muslimischen Frauen oder ein Symbol der muslimischen Identität?
Schon an diesen einfachen Beispielen sieht man, dass die Identitätsideologie eher zur Spaltung der Gesellschaft als zu ihrer Einigung beiträgt. Zudem trägt jeder Mensch sehr viele Identitäten in sich, die ihn jeweils zu einer einzigartigen Persönlichkeit machen. Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, wenn sich ein paar Theoretiker über Identitäten überflüssige Gedanken machen. Leider hat dieses fruchtlose Theoretisieren ganz praktische Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Viele gehen davon aus, dass Opfer nicht gleichzeitig Täter sein können, das widerspräche der reinen Lehre. Das zeigte sich an der unterschiedlichen Bewertung der sexuellen Übergriffe in Köln in der Neujahrsnacht 2015/2016. Die Täter waren überwiegend nordafrikanische und arabische Männer, die Opfer weiße Frauen. Die reine Identitätslehre sagt aber, dass Nordafrikaner und Araber mehr Opfer sind als weiße Frauen. Wie soll man damit umgehen?
Sichtbar werden die Auswüchse in der Sprache und in dem von der Ideologie vorgegebenen Sprachregeln. Wer sich nicht an diese neuen Sprach- und Sprechregeln hält, wird von den Ideologen ausgegrenzt. Das erinnert mich ein bisschen an das Neusprech aus George Orwells 1984.
Begonnen hat alles mit dem Gendersternchen/Binnen-I/Gender-Doppelpunkt und was weiß ich noch. Dann kam in den Stellenanzeigen das m/w/d auf, weil man ja die Diversen auch nennen muss. Mittlerweile gibt es Diskussionen, ob man nicht d/m/w schreiben muss, um den Diversen die jahrtausende lang versagte Wertschätzung entgegenzubringen. Die neueste Entwicklung ist jetzt das Anredeverbot bei der Lufthansa. Denken wir das Ganze weiter: Wie soll ich zukünftig meine Gesprächspartner anreden? Herr Müller, Frau Müller ist noch klar. Was mache ich aber, wenn mein Gegenüber zur LGBTQI-Fraktion gehört? Rede ich es dann mit Lesbe Müller, Schwuler Müller oder Querer Müller an? Dann brauchen wir natürlich noch einen Genus für Diverse. Oder wir schaffen den Genus radikal ab, wie die Engländer.
Früher war ein Mensch mit einem Penis ein Mann, ein Mensch mit Vagina eine Frau und die nicht eindeutig als Mann oder Frau identifizierbaren waren Zwitter. Heute kann sich dank Identitätspolitik jeder sein eigenes Geschlecht zulegen. Ich kann mich also als Mann als Frau fühlen und so leben. Jetzt gibt es aber im Sport das Problem, dass ich zwar als Frau leben kann, ich aber trotzdem einen männlichen Körper habe. Laut Identitätsideologie dürfte ich als Frau starten, weil das ja meine Identität ist, die richtigen Frauen haben aber etwas dagegen, weil sie gegenüber dem vielen Testosteron benachteiligt sind. Noch dazu verletzen Geschlechtstests nach Meinung einiger die Würde des irgendwie gearteten Athleten. Auch hier stellt sich für die Identitätsideologen die Frage, wer das größere Opfer ist: die biologische Frau oder der intersexuelle Mann, der sein Frausein auch im Sport ausleben will?