6. Juni 2017

Kein Patent auf Bier!

Über Facebook und Twitter wurde ich (mal wieder) auf eine Angstmachseite zu Patenten hingewiesen. Ich will deshalb auf ein paar Aspekte des Patentrechts eingehen. Bevor mir wieder jemand vorwirft, ich sei ein Besserwisser, will ich darauf hinweisen, dass ich sieben Jahre lang eine Patentabteilung geleitet habe.

Sinn der Patente ist, dass jemand, der einen Haufen Geld in die Entwicklung eines Verfahrens oder eines Produkts gesteckt hat, davor geschützt wird, dass ein anderer einfach die Entwicklung übernimmt. Der Erfinder soll die Möglichkeit bekommen, seine Entwicklungskosten durch den Verkauf seiner Waren wieder hereinzuholen.

Es können nur technische Dinge und Verfahren patentiert werden. Es können keine Lebewesen, keine Software und kein Design patentiert werden. Dafür sind andere Schutzrechte zuständig: Sortenschutz, Urheberrecht und Geschmacksmuster. Es können nur neue bisher weltweit unbekannte Dinge patentiert werden.

So, jetzt kommen wir zum Patent auf Bier, wie die Überschrift so schön reißerisch in dem Internetbeitrag lautet. Natürlich gibt es kein Patent auf Bier, weil Bier ja seit Jahrtausenden bekannt ist. Im Text wird dann gesagt: "Trotzdem hat das Europäische Patentamt Heineken und Carlsberg Patente auf konventionell gezüchtete Braugerste erteilt." Wie schon gesagt: Das ist natürlich Quatsch, weil es keine Patente auf Pflanzen gibt.

Leider verrät der Artikel nicht, um welches Patent es sich handelt. Jedes Patent wird durch eine eindeutige Patentnummer gekennzeichnet. Es wäre schön gewesen, wenn die Verfasser des Artikels die Patentnummer angegeben hätten, damit sich jeder selbst ein Bild davon machen kann. Ich habe mal in der Datenbank des europäischen Patentamts recherchiert. Dabei bin ich auf ein Patent gestoßen, das Heineken und Carlsberg für die Verwendung von Braugerste erteilt wurde. Das Patent hat die Nummer EP 2 384 110 B1. Der deutsche Titel lautet:"GERSTE MIT REDUZIERTER LIPOXYGENASE AKTIVITÄT UND EIN DAMIT HERGESTELLTES GETRÄNK". Wahrscheinlich ist dieses Patent gemeint.

Um zu verstehen, welchen Gegenstand ein Patent wirklich schützt, muss man wissen, dass nur das geschützt wird, was in den Patentansprüchen (Claims) steht. Was in der Überschrift oder in Zeichnungen oder in der Beschreibung steht, dient nur der Erläuterung. Jedes Patent muss mindestens einen Patentanspruch haben. Geschützt wird das, was im Anspruch 1 steht. Für einen Schutz müssen alle Punkte des Anspruchs 1 erfüllt sein. Alle weiteren Ansprüche sind nur Ableitungen davon.

Ich zitiere nur die ersten drei Ansprüche des Bierpatents, weil das zum Verständnis genügt:

"1. Getränk, das aus einer Gerstenpflanze oder einem Teil davon hergestellt wird, wobei das besagte Getränk einen sehr geringen Gehalt an T2N-Potenzial umfasst und wobei die Gerstenpflanze oder ein Teil davon eine erste Mutation, die zu einem vollständigen Verlust des funktionalen Lipoxygenase-(LOX)-1-Enzyms führt, und eine zweite Mutation, die zu einem vollständigen Verlust des funktionalen LOX-2-Enzyms führt, umfasst.

2. Getränk nach Anspruch 1, wobei das Getränk ein Malzgetränk ist.

3. Getränk nach einem der vorangehenden Ansprüche, wobei das Getränk Bier ist."

Anspruch 1 sagt, dass es sich um ein Getränk aus einer bestimmten Gerste handelt. Damit wird nicht die Gerste geschützt, sondern nur ein Getränk, das mit dieser bestimmten Gerste hergestellt wird. Die Gerste muss zwei bestimmte Mutationen aufweisen. Jedem bleibt es unbenommen, Gerstengetränke herzustellen, nur nicht mit dieser einen Sorte. Zusätzlich muss das Getränk einen sehr geringen Gehalt an T2N-Potenzial haben. Was das ist, weiß ich nicht. Nur wenn diese vier Punkte erfüllt sind (Getränk, Gerste mit zwei Mutationen, sehr geringe T2N-Potenziale), ist das Produkt durch das Patent geschützt.

Anspruch 2 sagt, dass das Getränk ein Malzgetränk ist, und Anspruch 3, dass es sich um Bier handelt. Damit sind natürlich nicht alle Malzgetränke und alle Biere geschützt, sondern nur die, die gemäß Anspruch 1 hergestellt werden.

Der Artikel erweckt den Eindruck, dass es Patentämter nur dazu gibt, damit sie mit den Patenten Geld verdienen. Das ist natürlich Blödsinn. Patente schützen die deutsche und europäische Industrie vor billigen Nachahmern, speziell aus Fernost. Letztes Jahr wurden beinahe 300.000 Patente beim europäischen Patentamt angemeldet. Diese Patente müssen von hochqualifizierten Ingenieuren und Naturwissenschaftlern geprüft werden. Knapp 7.000 Mitarbeiter arbeiten beim Patentamt.

Was lernen wir daraus? Im Internet treiben sich viele herum, die von vielen Dingen keine Ahnung haben. Das hält sie nicht davon ab, Protestaufrufe zu verbreiten, die dann von Leuten unterzeichnet werden sollen, die noch weniger Ahnung von der Materie haben.

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